Heute ist mal wieder so ein Tag, an dem ich mich Frage, ob die ganze Welt verrückt ist - oder ob ich einfach zu naiv für diese Welt bin?
Naja, nicht die ganze Welt ist verrückt, aber die Fußballwelt ist es in jedem Fall. Manuel Neuer trug kürzlich eine Kapitänsbinde in den Farben des Regenbogen. Als klares Zeichen der Solidarität
mit der LGBTQ-Bewegung, deren Ziel es ist Diskriminierung in allen Lebensbereichen sichtbar zu machen. Aktuell soll auf ein neues diskriminierendes Gesetz in Ungarn (EU-Mitgliedsstaat!)
hingewiesen werden. Die UEFA hat laut darüber "nachgedacht" den deutschen Nationaltorhüter für die Aktion zu disziplinieren, hat dann aber aufgrund des öffentlichen Drucks letzendlich doch von
Maßnahmne abgesehen. Und dann folgte der Vorstoss die Münchener Allianz Arena bei Spiel GER:HUN der aktuell laufenden Euro2020 in den Regenbogenfarben zu beleuchten. Laut UEFA darf das nicht
gemacht werden, weil das Fußball-Turnier "politisch neutral" bleiben soll. Ich weiß gerade nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Seit wann ist Toleranz eine politische Aussage? Also ich glaube
ja, dass Toleranz eine zivilisatorische Errungenschaft ist. Denn seit Menschen nicht mehr in Höhlen leben und um ihre Nahrung kämpfen müssen, sind es Toleranz und Kommunikation, die uns geholfen
haben miteinander zu leben und voneinander zu profitieren.
Natürlich ist Toleranz auch eine Lebenseinstellung und setzt eine bestimmte Grundhaltung voraus. Eine Haltung dem Gegenüber offen und ohne Vorbehalte zu begegnen, und wenn das Politik ist, dann
bin ich ein hochpolitischer Mensch. Und ich bin wahnsinnig naiv, weil ich meistens gar nicht kapiere, wenn jemand nicht "hetero" ist. Wenn diese Tatsache in irgendeinem Zusammenhang relevant ist,
dann muss man mir das sagen. Ich merk das nämlich nicht und es ist mir auch nicht wichtig. Für mich zählt nur, dass ALLE die Finger von Kindern lassen, der Rest ist Privatsache. Will sagen, macht
doch in euren Schlafzimmern was ihr wollt, wenn euer*e Partner*in das auch will!
Ich finde das einfach mega traurig, dass es im Jahr 2021 angeblich relevant ist welche sexuelle Orientierung ein Mensch hat. Sorry, das ist doch total absurd. Ich stell mich doch auch nicht vor
indem ich sage "Hi, ich bin Nicole und ich bin hetero." - Wie lächerlich wäre das denn bitte?
Aber selbst im Jahr 2021 haben die Verantwortlichen der Fußballverbände noch nichts gelernt und wiederholen stetig altbekannte Diskriminierungsmuster. Und sie lassen sich von "rechtskonservativen" Idioten mal wieder dafür feiern. Nicht umsonst hat der ungarische Außenminister Szijjarto sich wie folgt geäußert "Es ist äußerst schädlich und gefährlich, Sport und Politik zu vermischen. ... Die historische Erfahrung zeigt, dass das eine schlechte Sache ist und allen voran die Deutschen wissen das genau." - Ich kotz gleich.
Das Schema ist bekannt, wenn in Deutschland andere Meinungen geäußert werden, dann wird mal kurz die Geschichtskeule rausgeholt. (Sorry Ungarn, aber unser Grundgesetz garantiert die freie Meinungsäußerung - leider auch für Idioten) Das unsere mittlerweile demokratische Gesellschaft sich in den letzten Jahrzehnten positiv entwickelt haben könnte, das wird geflissentlich ignoriert.
Aber dass die Fußballfunktionäre weltweit sich kein Stück weiterentwickelt haben, sondern einfach nur die "Feindbilder" ausgetauscht wurden, ist eine ignorierte Tatsache. Diskriminierung im Fußball und die Ignoranz der gesellschaftlichen Entwicklung hin zu mehr Toleranz durch Fußballfunktionäre haben System.
Fußball scheint mir insgesamt sehr diskriminierend zu sein. Das klingt jetzt tendenziös, aber ich empfinde das eben so.
Wie war das doch gleich als der Fußball aus dem "feindlichen" England nach Deuschland kam? Also Jubel und Begeisterung sehen anders aus.
Erinnert ihr euch noch als der DFB die erfolgreiche Turnierteilnahme der Frauen-DFB-Elf mit einem Kaffeeservice "belohnte" oder als Reporter und Kommentatoren mit Sprüchen wie "die müssen ihre
Trikots selber waschen" Spiele im Frauenfußball kommentierten?
Und wie war das doch gleich als in Deutschland die ersten farbigen Spieler*innen auf den Spielfeldern erschienen? Es wurden Bananen auf den Platz geworfen und "Fans" imitierten Affenlaute, gern
auch bei jeder Ballberührung. Farbige Spieler*innen wurden von "Fans" als Freiwild als betrachtet.
Die ersten weiblichen Sport-Reporter und Fußball-Kommentatoren waren dem Hass einer ganzen Fußballnation ausgesetzt und sind es zum Teil heute noch.
2014 dann das Outing von Thomas Hitzlsperger und ein Aufschrei ging durch Fußball-Deutschland. Und nach ein paar Monaten? Nichts mehr ... Hitzlsperger ist medial erledigt und Homosexualität im Fußball wird totgeschwiegen.
Also WFT stimmt mit der Fußball-Welt nicht?
Übrigens am gleichen Tag, an dem die UEFA der Regenbogen-Illumination der Allianz Arena eine klare Absage erteilt, outet sich in den USA der NFL-Profi Carl Nassib als Homosexueller. Ich glaube nicht, dass Nassib deshalb jetzt besser oder schlechter spielt - weil es halt egal ist. Take this UEFA and welcome to 2021.
Normalerweise halte ich es mit den Wohnraumhelden: Mach was du willst, aber nerv nicht die anderen!
Aber es gibt Dinge, die regen mich einfach auf und dann kann ich nicht die Klappe halten und zum Alltag übergehen. Ein Regenbogen als Stein des Anstoßes? Ernsthaft Leute? Haben wir keine anderen
Probleme, um die wir uns dringend kümmern sollten? Zum Beispiel die vielen Kriegs- und Krisenregionen auf der ganzen Welt? Eine Situation, die regelmäßig zu Flucht und Vertreibung führt. Wir
lassen unzählige dieser Menschen derzeit im Mittelmeer ersaufen oder in Flüchtlingslagern verenden.
In Deutschland genießen wir den demokratischen Luxus der Meinungsfreiheit, aber wenn in anderen (europäischen) "demokratischen" Staaten Menschen unterdrückt, verfolgt, inhaftiert und getötet
werden, dann schauen wir weg. Angeblich sind wir ein demokratisch weltoffenes Land und was machen wir damit? Also viel zu viele von uns wählen die AFD.
Wir kaufen billige Nahrungsmittel und Klamotten und lassen dafür Menschen in Dürre-Regionen und Fabriken unter unmenschlichen Bedingungen leben oder sogar sterben.
Wenn wir den Klimawandel mal nicht ignorieren, dann schwören wir auf E-Technik, dann sind uns auch gerne mal die Kinder egal, die in Entwicklungsländern nach den Seltenen Erden für unsere
Batterien in Mienen schuften, egal.
Die Erde heizt sich unaufhaltsam auf, aber wir fliegen für 29 € nach Malle.
Wir regen uns über schlechte Tierhaltung auf, aber kaufen billiges Fleisch für hochwertige Grills. Oder wir schwören dem Fleisch ab und ignorieren die Umstände des Soja-Anbaus und die vielen
chemischen Zusatzstoffe in Veggie-Nahrung.
Wir leben in einer Pandemie und schlagen die Aussagen vieler Fachleute in den Wind, weil unsere "Freiheit" dadurch eingeschränkt wird.
And on and on ...
Es gibt also viel wichtigere Themen, um die wir uns Kümmern sollten. Also wer bitte interessiert sich noch für die sexuelle Orientierung anderer Menschen oder die Regenbogen-Illumination eines
Fußball-Stadions?
Wer mehr über Diskriminierung im Fußball wissen möchte, der sollte sich die Dokumentation "Schwarzer Adler" anschauen. Ich höre derweil noch ein bisschen Marcus Wiebusch (Kettcar):
"Dieser Tag wird kommen, jeder Fortschritt wurde immer erkämpft
Nicht weiß, wird immer erstmal abgelehnt
Und auf den Barrikaden die Gedanken und Ideen
Dass das Nötige möglich ist. Wie Freiheit und Gleichheit
Dass nichts wirklich unmöglich und in Stein gemeißelt ist
Bis einer vortritt: Schluss jetzt mit Feigheit
Geschichte ist Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit
Wir den aufrechten Gang haben
Nicht mehr in Höhlen wohnen
Nicht mehr die Keulen schwingen, Leute umbringen
Nicht umherstreifen in kleinen Herden
Weil Menschen nicht ewig homophobe Vollidioten bleiben werden
All ihr miesen Kleingeister mit Wachstumsschmerzen
All ihr Bibel-Zitierer mit euerm Hass im Herzen
All ihr Funktionäre mit dem gemeinsamen Nenner
All ihr harten Herdentiere, all ihr echten Männer
Kommt zusammen und bildet eine Front
Und dann seht zu was kommt"
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