Sehnsuchtsort Hallig Langeneß

54°38'14'' N - 8°36'47'' O ... das ist nicht einfach nur eine Koordinate in der Nordsee, es ist das Auenland für meine Seele. Denn die Hallig Langeneß ist für mich das was man wohl einen Sehnsuchtsort nennt.

Für mich gibt es genau zwei Herzensorte: immer da, wo ich mit meinen Lieblingsmensch*innen und meiner Bonusfamilie zusammen sein kann und diesen kleinen Platz im Meer. Manchmal treffen sich die Linien im Raum-Zeit-Kontinuum und ich darf mit Lieblingsmensch*innen auf Hallig Langeneß verweilen. Diese Momente sind sehr besonders.

Das Erste (und Nachhaltigste) was ich über die Halligen gelernt habe, ist wohl, dass eine Hallig keine Insel ist. Auf einer Hallig das Wort "Insel" in den Mund zu nehmen ist einfach keine gute Idee. Meine Hallig-Infizierung geht mittlerweile so tief, dass ich regelmäßig zusammenzucke, wenn in TV-Reportagen die Halligen als Inseln bezeichnet werden. Denn technisch gesehen sind die Halligen Marschland in der Nordsee ... doch für mich sind sie einfach nur die schönsten Flecken Erde auf diesem Planeten.

Eine der schönsten literarischen Beschreibungen der Halligen bietet wohl Theodor Storms 1871 entstandene Novelle "Eine Halligfahrt". Eindrücklich beschreibt der Husumer Literat das Leben mit den Gezeiten und auf einer Hallig. Gekleidet in eine Liebesgeschichte bringt uns die Novelle das ungewöhnliche Leben auf einer Hallig näher. Ich finde, dass man diese Novelle erst lesen sollte, wenn man schon einmal auf einer Hallig gewesen ist. Nachhaltiger wird das Zusammentreffen von Mensch und Natur nur noch im berühmten "Schimmelreiter" beschrieben.

Die sagenumwobenste Hallig ist wohl die Hallig Rungholt ... das Atlantis der Nordsee. Eine Sturmflut zerstörte diese Hallig vermutlich im Jahr 1362. Und bis heute suchen Archäolog*innen nach Spuren dieses sagenumwobenen Ortes. Auch Theodor Storm nimmt Bezug auf den Mythos Rungholt und feuert damit die Phantasie seiner Zeitgenossen an. Noch heute suchen Forscher*innen im Watt nach den Spuren dieser untergegangenen Siedlung.

         Für mich bedeutet mit der Fähre auf die Hallig überzusetzen, den Weg in die Freiheit zu erobern. Mit jeder Seemeile wächst die Vorfreude, die sich zuvor schon leise bei der Überquerung des Nord-Ostsee-Kanals angedeutet hat. Und sobald ich meine Füße auf Hallig-Boden setze, tauche ich in eine andere Welt ab. Das Tempo der Halligen ist so ansteckend entschleunigend. Alles fühlt sich unwirklich und abenteuerlich an. Und ich tauche jedes Mal wieder in eine zauberhafte Welt ab ... mein persönliches Auenland ... und ich möchte diesen Ort nie wieder verlassen.

Die gut 10 qkm Marschland bringen mich immer wieder zum Träumen. Die Zeit bleibt stehen und der hektische Alltag bleibt auf dem Festland zurück. Der Reflex ständig auf dem Handy die Neuigkeiten im www zu checken ist einfach weg. Denn hier kann frau stundenlang aufs Meer (bzw. Watt) schauen und alle stressigen Gedanken werden einem vom Wind aus dem Kopf geweht. Wer gut mit sich allein sein kann, für den gibt es hier viel zu erleben, ohne etwas zu tun. Ich kann beispielsweise stundenlang am Leuchtturm sitzen, in die Weite schauen und an nichts denken. Und an nichts denken zu müssen, bedeutet für mich Freiheit pur. Aber ich habe auch schon viele tiefsinnige Gespräche an diesem Leuchtturm geführt. Sich dem Zauber dieses Ortes zu überlassen ist ungemein befreiend ... die Gezeiten bestimmen den Rhythmus des Lebens und man kann nicht weglaufen, nicht einmal vor sich selbst. Ich weiß gar nicht, warum Menschen Yoga-Kurse auf Gomera buchen, wenn die seelische Entspannung doch vergleichsweise nahe ist.
Wenn es um den persönlichen Entspannungsfaktor geht, dann gefallen mir die windigen Tage und Nächte auf der Hallig am besten. Dieses heimelige Gefühl, wenn der Wind um die Häuser braust und die Fenster klappern, ist einfach großartig.
Ein Tag auf der Hallig und das Leben fühlt sich leicht an, besonders wenn die Sonne einem direkt ins Herz scheint. Auf Langeneß hatte ich wohl die bisher fiesesten Sonnenbrände meines Lebens. Und ich habe hier schon einige Male Energie für Wochen und Monate getankt ... frühstücken mit dem Blick in die Ferne und nur Schafe, die sich unterhalten wollen. Ein Träumchen für jeden Morgenmuffel.

Ich habe mein Herz an diesen besonderen Ort verloren. Das mag auch daran liegen, dass sich hier zwei meiner Leidenschaften vereinen: die Liebe zum Meer und die Leidenschaft für Konzerte. Denn auf Hallig Langeneß findet seit ein paar Jahren die einmalig schöne Konzertreihe Kultur auf den Halligen statt. Mit viel Liebe zum Detail und einem großen Herz für Künstler*innen und Gäst*innen kümmert sich die KdaH-Crew rund um Malte jedes Jahr um unzählige Hallig-Besucher*innen.
Nachzulesen ist der verschlungene Weg zu einem unvergleichlichen Veranstaltungskonzept im Buch "Mok Man" von Malte Jochimsen & Klaus Marschall. Es ist ein tolles Buch geworden, aber es ist eben auch nur ein Buch. Man kann sich damit sicherlich die KadH-freie Zeit von Oktober bis April vertreiben. Von Mai bis September, also während der KadH-Saison, sollte man unbedingt eine der Veranstaltungen buchen und sich selbst ein Bild machen.
Ich durfte bereits ein paar unvergessliche Stunden mit Bonusmenschen und Lieblingsmusik im Schafstall zu Langeneß verbringen. Ein KadH-Abend ist ein sehr besonderes Erlebnis, das bereits im Hafen von Schlüttsiel beginnt. Mit der MS Seeadler geht es gen Hallig. Oft sind auch die Künstler*innen an Bord ... näherdran kannst du als Fän*innen kaum sein. Ich mag auch, wenn Malte sich in eine Mischung aus Reiseleiter und Entertainer verwandelt. (Es war einmal ein Malte, der hatte sieben Söhne ...) Auf der Hallig angekommen stürmt eine Schiffsladung musikhungriger Menschen zum Grillbuffet im Gasthaus Hillingley. Im Anschluss pilgern die Musikliebhaber*innen satt und zufrieden zum Schafstall, um dort ein einmaliges Konzert ihrer Lieblingsmusiker*innen zu genießen. Der Name Schafstall ist hier wörtlich zu nehmen ... im Winter wohnen hier die Schafe und im Sommer feiern am selben Ort musikverliebte Menschen. Nur die Schwalben ziehen nicht um und so kommt es auf der Bühne dann und wann zu Irritationen der Künstler*innen.
Ca. 30 Minuten nach dem letzten Ton legt die MS Seeadler dann wieder in Richtung Festland ab. (Wer also nach einem Konzert noch an Ort und Stelle weiterfeiern möchte, die/der ist gut beraten auf der Hallig einen Schlafplatz zu buchen.) Die Stimmung auf der Rückfahrt kann sehr unterschiedlich sein ... zwischen beseeltem Schweigen, nicht endenden Fan-Gesängen und mitreisenden Musiker*innen, die nochmal ihre Gitarren auspacken, ist alles möglich. Und wenn die MS Seeadler im Hafen von Schlüttsiel die Party-Meute wieder ausspuckt, ist der Zauber noch lange nicht vorbei, denn so ein Konzert-Abend im Schafstall wirkt noch lange nach.

Ob nun mit oder ohne Konzert, die Hallig Langeneß ist eine Reise wert. Und ich bin definitiv Hallig-verliebt, denn ein dreitägiger Hallig-Aufenthalt hat auf mich dieselbe Wirkung wie drei Wochen Reha. Aber eine Sache steht noch auf meiner To-Do-Liste: ein Urlaub auf Langeneß in meiner Lieblingsjahreszeit, dem Herbst. Es muss ja nicht gleich ein Wochenende mit Land unter sein, ein "kleiner" Herbststurm reicht mir vollkommen aus, um mich wohlzufühlen.

Das Buch zu Kultur auf den Halligen

https://www.facebook.com/MOK-MAN-Kultur-auf-den-Halligen-105706504235571

Die Halligen im TV
https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/die_nordstory/Winter-auf-Halligen,sendung590760.html

Mein Hallig-Soundtrack
https://open.spotify.com/playlist/3oC2uSCjJAiE3d7XzYq0Wv?si=fbd1962fb9014710