Ich bin hin- und hergerissen ... nach Hamburg fahren oder daheimbleiben? Auf der einen Seite stehen zwei Jahre voll unerfüllter Konzertversprechen, Terminverschiebungen, Absagen und Seelenfutter-Substitut aus dem world wide web (aka Streaming-Konzert). Auf der anderen Seite stehen die Bilder von Menschen, die aus ihrer Heimat flüchten müssen, sich in Kellern und Metrostationen verstecken und unter ständigem Waffenbeschuss stehen. Es gibt so viele Orte auf diesem Planeten, an denen Menschen glauben, dass Waffen eine Lösung für irgendetwas sind. Wenn der Mensch wirklich die Krone der Schöpfung ist, dann sind wir wohl verloren.
Am Ende entscheide ich mich für das Wochenende mit Keiler-Konzert, denn mein Kopf und meine Seele brauchen dringend eine Auszeit.
Norman und Volker sind bestens gelaunt und Heiko, der Betreiber der Klangbar, sammelt binnen eines Augenblicks alle Sympathie-Punkte ein, die ich vergeben kann. Die Jungs bauen ihr Equipment auf und ich dekoriere den eigens von Heiko herbei geschafften Merch-Stand. Denn Soundcheck lasse ich aus ... der macht mir immer den Zauber kaputt. Stattdessen nutze ich die Zeit, um mein Hotelzimmer zu beziehen, einen Happen zu essen und endlich nach vielen Monaten einen Teil meiner Bonusfamilie wieder in die Arme schließen zu können.
Im Handumdrehen ist es 18.30 h um am Einlass sammeln sich nach und nach bekannte Gesichter und liebgewonnene Mit-Verrückte. Herrlich ... wie sehr ich diesen Trubel vermisst habe. Ich habe ausgiebig Zeit, um andere Keiler-Verrückte zu begrüßen und neue Bekanntschaften zu schließen. Ich verplaudere die Zeit mit lieben Menschen und lasse mich von der Hintergrund-Musik zum Mitwippen animieren. In diesem Augenblick ist das Leben genauso wie es sein sollte.
Nahtlos gehen die beiden zum nächsten Song über und #dertyp bricht mir wieder einmal das Herz. Manchmal möchte ich wissen wo Norman diese Texte hernimmt. Oder nee, lieber doch nicht ... mit Wünschen soll frau ja vorsichtig sein. Norman und Volker baden im Applaus, und weil das Publikum gerade so schwungvoll dabei ist, passt #absoluokay ganz wundervoll in diesen Moment. Norman albert ausgelassen mit dem Publikum, weil er eben voll auf uns steht.
Besonders ist auch die Art wie Norman und Volker heute mit dem Publikum agieren. Volker erzählt "Geschichten von früher" aus #marburganderlahn. Auch Norman weiß so dies und das von diesem Ort zu erzählen. Es wird nicht das letzte Mal sein, dass ich heute Abend an Andy Latzko denken und dabei schmunzeln muss. Die #straßedereinheit bringt noch einmal Volkers musikalische Wunderwaffe zum Einsatz und auf dieser musikalisch-nostalgischen Wolke schweben wir in die Pause.
Und ich bin ja auch nicht allein, sondern habe Unterstützung aus der Bonusfamilie. Das Leben ist einfach gut zu mir. Ich nutze die Gunst der Umstände und gehe noch etwas frische Luft schnappen ... und zack bin ich im nächsten Gespräch. Ich habe einen leichten Anflug von Reizüberflutung - ein Zustand, den Volker kolossal fehlinterpretiert. Das Leben ist manchmal nicht nur komisch, sondern auch irgendwie amüsant.
Nach der Pause geht es #perfekt weiter ... ein ganzer Club voller Herzen schlägt im gleichen Beat und ich denke wehmütig an die Daheimgebliebenen. Ich vermisse die Tage, an denen unsere kleine
verrückte Bonusfamilie gemeinsam zu Keiler-Songs feiern konnte. Ich tröste mich mit der Aussicht auf bessere Tage und all die kolossalen Abende, die noch auf uns warten. Volker ist heute ein
bisschen schräg drauf. Ihm ist heute nämlich nicht nach Reden, aber er hat natürlich trotzdem eine Menge zu sagen. Ich finde es gerade ungeheuer beruhigend, dass die letzten zwei Jahre nicht
alles verändert haben. Die Art wie #siewilllos mein Herz umklammert gehört definitiv zu den Dingen, die keine Pandemie und kein Krieg der Welt verändern können. Wie schreibt dieser Typ nur immer
wieder diese unglaublichen Songs?
Es gibt Dinge, die aus einem Moment heraus geboren werden und sich sofort verselbstständigen. Norman und Volker, die unplugged mit ihren Gitarren durchs Publikum wandeln ... das ist so ein Ding,
dass plötzlich da war und zu einem liebenswerten Ritual wurde. Und es ist egal wie groß der Saal oder wie klein der Club ist, wenn es um #weilichbin geht, dann bannen sich die beiden ihren Weg.
Selbst mit geschlossenen Augen kann ich die Freude in ihren Gesichtern und den Glanz in ihren Augen sehen, während sie ihren Fans ganz nahekommen. Es ist, als wollten die beiden die Gänsehaut von
unseren Armen pflücken. Man sagt ja immer der Applaus wäre das Brot der Künstler, aber in diesem Moment bin ich mir sicher, dass sich ihre Seelen von unserer Freude ernähren. (Brot müssen
Künstler nämlich genau so kaufen wie jeder andere auch. Und das war in den letzten zwei Jahren oft kein leichtes Unterfangen.)
Norman schafft heute ein besonderes Kunststück ... eine gerissene Saite während er weil ich bin spielt. Ich kann mich nicht erinnern, dass schon einmal erlebt zu haben. Für gewöhnlich
sind es der Rasthoftramper oder Meine Stadt zu denen Norman dieses ungewollte Kunststück vollbringt ... aber heute ist es eben die Unplugged-Version einer seelischen
Offenbarung. Während Norman im Fundus nach Ersatz wühlt, plaudert Volker aus dem Nähkästchen ... eine Anekdote aus der Rubrik "Wer den Schaden hat, spottet jeder Beschreibung". Aber Volker hat
natürlich noch mehr zu erzählen, zum Beispiel von seinen liebvollen kleinen Online-Sessions live aus dem gelben Sessel. Und plötzlich höre ich zwei Akkorde, die große Unterhaltung
versprechen. Es gibt eine Million Songs, die Volker zur Überbrückung hätte spielen können, darunter ein gutes Dutzend eigener, aber er entscheidet sich für einen Song, dessen Bedeutung für mich
und meine Bonusschwester er gar nicht kennt: #chasingcars. Wie ferngesteuert sitze ich plötzlich direkt vor der Bühne und lasse mich in wundervolle Gefühle fallen. I don't quite know, how to
say, how I feel ... gibt es einen Song, den dieser Mann nicht spielen kann? Wer weiß das schon.
Und weil Volker gerade in Hochform ist, widmet er den nächsten Keiler-Song, der ihm selbst so viel bedeutet, mal eben "den Dreien da an der Seite". Natürlich feiert unser
Fanclub-Maskottchen "Schnitzel" die #rosaelefanten gebührend und ich genieße wie auf der Bühne musikalisch gestorben wird. Ich liebe diesen Moment, denn hier entscheidet sich für mich jedes Mal
aufs Neue welchen Nachhall ein Konzert auf meiner Seele hinterlassen wird. Die Art und Intensität wie auf der Bühne gestorben wird, ist eine ganz eigene Skala und kann einfach alles
erklären.
Auf der Setlist, die heute mal wieder ihre ganz eigene Geschichte hat, folgt jetzt #alleswirdgut und die Klangbar verwandelt sich mit einem keilerschen Handstreich in eine große ausverkaufte
Konzerthalle ... mitklatschen und tosender Applaus gehen nahtlos ineinander über. Die ganze Welt fühlt sich gerade fantastisch an.
Während Norman das passende Instrument für den nächsten Song stimmt, nutzt Volker, dem heute ja bekanntlich nicht nach reden ist, die Gelegenheit noch einmal das Wort zu ergreifen. Er spricht
ausgiebig über das gespaltene Verhältnis des deutschen Musiker-"Nachwuchs" zum (öffentlich-rechtlichen) Radio. Ich fühle mich einfach nur bestätigt, dass der Konsum von konventionellem
Musik-Radio einfach nutzlos ist. Ich wechsle schon seit Jahren nur noch zwischen Info-Radio, Sparten-Radio bzw. Online-Radio und meinen eigens zusammen gestellten USB-Sticks. Und doch ist all das
was Volker gerade erzählt nur das verbale Vorspiel zu einem der besten Keiler-Songs, den die Pandemie hervorgebracht hat. Der #zitronenfalter ist das sensationelle Ergebnis einer
Keil-Rechin-Songwriting-Session. Die Zeile "Wir tätowieren uns Melodien auf unsre Gänsehaut" hat mich schon beim ersten Hören emotional gefangen genommen hat und ich feiere diesen Song
in diesem Moment, als gäbe es kein Morgen mehr. Es sind diese Songs, diese Momente, die mich immer wieder in kleine kuschelige Clubs treiben, um mir Keiler-Konzerte anzuhören. #springenindienacht
und #klassenfahrt kündigen das unvermeidbare Ende dieses zeitlosen Abends an. Aber das lässt sich das Publikum natürlich nicht so einfach vorsetzen.
Ohne Zugabe-Rufe, aber dafür mit nicht enden wollendem Applaus holen wir Norman und Volker auf die Bühne zurück. Unsere Hartnäckigkeit wird heute Abend doppelt belohnt, denn wir bekommen nicht
nur eine einfache Zugabe, sondern eine Weltpremiere. Norman und Volker spielen mit #meineperson einen zauberhaften neuen Song. Für einen kurzen Moment frage ich mich, was Musiker denken, wenn sie
das Publikum auffordern die Handys beiseitezulegen. Am Ende führt das immer dazu, dass noch mehr Handys gezückt werden, um das Nachfolgende für die Ewigkeit festzuhalten. Dieser neue Song hat für
mich echtes Radio-Hit-Potential ... er ist eingängig und kommt mit wenigen Worten aus, um damit doch so viel zu sagen. Schade, dass ich kein Musik-Radio mehr höre. Der musikalische Teil dieses
Abends endet mit der Frage #wiegehtsdir und ich möchte Norman antworten, dass meine kleine Welt in diesem Moment einfach nur in Ordnung ist.
Das Konzert endgültig vorbei und ich bekommen noch ein bisschen Besuch am Merch-Stand, ehe die Klangbar-Crew uns aus dem Saal fegt. Mit einer kleiner Truppe beenden wir diesen kolossalen Abend im
angrenzenden Pub mit einer letzten Runde.
Ich kann noch nicht glauben, dass diese wundervolle Realitätsauszeit morgen nach dem Frühstück vorbei sein soll.
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