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MINE "HINÜBER"-Tour @westand 21.04.2022

Die konzertlose Zeit der letzten 2 Jahre war an vielen Tagen die reinste Qual ... und doch gab es den einen oder anderen Lichtblick. Es wurden einige Silberlinge (Hinüber) veröffentlicht und ganz besondere Streaming- und Video-Formate (Quarantöne) haben das Licht der Welt erblickt.
Irgendwann in dieser Zeit habe ich angefangen eine Liste zu schreiben "Künstler*innen, die ich immer schon mal live sehen wollte". Und ganz oben auf dieser Liste steht die Sängerin, Songwriterin und Produzentin Mine. Also tausche ich an einem langweiligen Samstag Abend im Mai 2021 einen der unzähligen Veranstaltergutscheine gegen Tickets für Mines Auftritt im Braunschweiger westand. Das aus der geplanten Begleitung nichts werden würde, konnte ich zu diesem Zeitpunkt nicht einmal ahnen, aber 2022 hat seine ganz eigenen Gesetze.
Und so mache ich mich schlussendlich an einem Donnerstag Abend allein auf den Weg nach Braunschweig und stelle mich pünktlich in der überschaubaren Einlassschlange an. Früh am Ort des Geschehens einzutreffen hat Vor- und Nachteile: ich kann mir einen tollen Platz aussuchen, aber die Wartezeit bis zum Konzertbeginn will einfach nicht vergehen. Aber wenigstens gibt es heute an der Bar mein Lieblingsgetränk.
Während ich von schrecklicher Pausenmusik gequält werde, beobachte ich amüsiert wie die Masse der Ü40-Besucher*innen zu den Sitzplätzen auf die Tribüne strebt. Ich werde wohl nie kapieren, warum Menschen bei Konzerten sitzen wollen ... was für ein Blödsinn.
Um viertel vor acht bekomme ich immer noch mühelos einen Platz in der ersten Reihe und kann ein weiteres, mir unverständliches, Phänomen beobachten: die Mucker-Polizei 2.0. Männlich, Anfang 20, stehen in der ersten Reihe und bewegen sich keinen Zentimeter, und das wird sich auch den ganzen Abend nicht ändern. Was stimmt mit der heutigen Jugend nicht? Musik ist doch dazu da das Leben zu feiern ... jedenfalls in meiner kleinen Welt ist das so.
Der Abend wird von Madanii eröffnet, einer Musikerin aus Franken mit persischen Wurzel. Und plötzlich ist das westand erfüllt von phantastischen Klängen. Angejazzte Elektro-Beats treffen auf 1001 Nacht ... eine Soundfusion, die ihresgleichen sucht und mich augenblicklich dem Alltag entreißt. Diese Frau ist einfach bezaubernd. Ihre Stimme wird von den computergenerierten Klängen getragen, ohne sie zu übertönen. Und der Mix aus Farsi und Englisch macht neugierig und Lust auf mehr. Ich glaube da ist heute Nacht noch ein kleiner Online-Einkauf fällig. Ich finde der Applaus könnte ruhig etwas großzügiger ausfallen, aber das ist wohl das Los einer jeden Vorband.
Trotz der wiederkehrenden Pausenmusik "from hell", hat die Umbaupause durchaus unterhaltungswert. Bühnentechniker in Adiletten sieht frau ja auch nicht alle Tage und es bleibt nur zu hoffen, dass die Berufsgenossenschaft das nicht sieht. (Ich glaub so ganz hat mein Kopf den Absprung von der Arbeit doch noch nicht geschafft.)

Und dann ist er da: der magische Moment, der einen gewöhnlichen Donnerstag Abend in unvergessliche Emotionen taucht. Die Pausenmusik geht in ein fade out über, das Licht im Saal wird gedimmt und die Bühne füllt sich mit Musiker*innen.
Die Musik setzt ein und das komplette Publikum legt mit den ersten Takten den Hebel auf "feiern" um ... als müssten wir uns und der Welt etwas beweisen. Wir haben im kulturfreien Lockdown nichts verlernt, und dass gilt auch für die Protagonist*innen auf der Bühne. Alle strahlen aus tiefstem Herzen und lassen ihrer Spielfreude freien Lauf. Ich beginne zu begreifen was für eine Qual die letzten 2 Jahre für kreative Menschen gewesen sein müssen. Besonders die Songs aus dem aktuellen Album "Hinüber" kommen episch und kraftvoll daher. Live fühlen sich Songs wie
#meinherz, #hinüber, #kdmh, #dukommstnichtvorbei oder #spiegelbild noch intensiver an ... überrollen mich einem Tsunami gleich.
Doch Mine legt nicht nur all ihre emotionale Kraft in Songs und Bühnenperformance, sie gibt auch zwischen den Songs alles damit die Vibes zwischen Band und Publikum stimmen. Wobei ihre Versuche "brunsvig" korrekt auszusprechen dann doch eher mit mildem Lächeln bedacht werden. Mit den Songtexten von #eiscreme, #elefant, #unfall, #tier, #einfachso, #s/w und #hinterher klappt es halt doch besser.
Doch ob es nur "brunsvig" oder "brunsschwig" heißt, ist letzten Endes egal, denn Mine und Band feiern hier und heute ihren lang aufgeschobenen Tourauftakt. Also wenn diese Band in den nächsten Tagen so weitermacht, dann werden am Ende alle müde, kaputt und sehr glücklich wieder heimfahren.
Während dieser irren Reise quer durch die Alben "Hinüber", "Das Ziel ist im Weg" und Klebstoff" zeigt Mine sich experimentierfreudig (es kommt sogar ein Theremin zum Einsatz) und würdigt unentwegt den Einsatz ihrer Band. Ich habe ja bekanntlich eine Schwäche für herausragendes Bassspiel und Vroni Frisch spielt sich gerade in meine persönlichen Top 5 ... echt krass diese ganze Frauenpower auf der Bühne.
Auch wenn Mine ihre Ansagen und Geschichten rund um die Songs selbst nicht immer eloquent findet, so haben sie doch sehr hohen Unterhaltungswert und dann und wann blitzt durch, dass heute wohl jemand einen Clown gefrühstückt hat.
Mit ihrer krass geilen Show liefern Mine und Band dem Publikum und auch sich selbst einen richtig geilen Tourauftakt, der seinesgleichen sucht. Und während auf der Bühne ein musikalisches und emotionales Feuerwerk abgefackelt wird, tanze ich in der ersten Reihe um mein Leben ... besser kann man das Leben nicht feiern.
Leider bleibt uns "Schminke" als Zugabe verwehrt, der Song geht ohne Fatoni nicht ... jedenfalls sieht Mine das so und hofft, dass wir nicht  nur wegen dieses Songs zum Konzert gekommen sind.
Zum Abschluss sagt Mine noch die "Spielregeln" für den Merch-Stand an: es wird Autogramme gebe, aber keine Fotos, denn Fankuscheln erhöht das Corona-Risiko und die Tour steht erst am Anfang. Doch bevor ich mich in die Schlange der Autogramm-Jäger*innen einreihe, gehe ich erstmal durchschnaufen. Ich hänge auf dem Balkon des westand meinen Gedanken nach und höre den wohl lustigsten Satz des Abends. Hinter mir stehen zwei Mädels und unterhalten sich, eine ganz normale Situation. Dann fragt die eine wer denn dieser Fatoni sei von dem Mine eben geredet hat. Die Antwort ihrer Freundin: Fatoni ist Mines Background-Typ! Für den Bruchteil einer Sekunde weiß ich nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Doch ich schlucke meinen Kommentar "Fatoni ist bester deutscher Rapper, so vom Ding her" einfach runter, versuche nicht laut loszulachen und stelle mich in der mittlerweile überschaubaren Schlange am Merch-Stand an.
Mine ist auch beim Autogramme schreiben einfach bezaubernd, geduldig unterschreibt sie Poster, Platten, CDs und Eintrittskarte und nimmt sich immer wieder die Zeit, um ein paar Sätze mit ihren Fans zu wechseln.
Auf dem Weg zum Auto ziehe ich ein erstes Fazit des Abends: I'm so hyped ... das schreit nach einer Wiederholung im Oktober und glücklicherweise ist das Ticket für Hannover bereits gekauft.
Müsste ich Mines Musik in einem Satz beschreiben, dann wäre es wohl folgender: bassgetriebene, von Elektro-Beats getriebene, tanzbare Musik mit krassen Texten.

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