Volker Rechin "live aus dem gelben Sessel" - Pub-Session in HH Bergedorf - 20.05.2022

Zugegeben, ich habe kurz und innig mit mir gerungen dieses Konzertticket zu kaufen, denn zwischen mir und diesem Abend mit Volkers gelbem Sessel liegen noch zwei anstrengende Tage mit Vorträgen und Fachgesprächen. Andererseits führt die Dienstreise mich nach Hannover und von dort aus ist es ja nicht mehr so weit nach HH-Bergedorf. Ich habe das Verrücktsein in den letzten Monaten sehr vermisst und Volkers kleine "3 Songs zur Nacht"-Sessions waren das Seelenbalsam im zweijährigen Stubenarrest. Also kaufe ich mir ein Ticket ... getreu dem Motto der Band Tocotronic: Pure Vernunft darf niemals siegen.

Am frühen Nachmittag sehen meine Berufskolleg*innen nur noch eine Staubwolke von mir und ich stürze ich mich kopfüber in ein vergnügliches Wochenende. Natürlich geht es nicht ohne den obligatorischen Stau, heute mal auf der A1, aber ich lasse mir Vorfreude und guten Laune nicht verderben. In Hamburg angekommen fällt mein Blick auf einen wohlbekannten Volkswagen. Prima, Volker und sein Sessel sind gut angekommen. Und ich gleite in die lang vermissten Rituale ab: im Hotel einchecken, kurz die Beine vertreten und beim Abendessen den Stress abschütteln. Eigentlich will ich nochmal kurz ins Hotelzimmer, doch da sehe ich das erste bekannte Gesicht. Eine prima Gelegenheit die Wartezeit in netter Gesellschaft zu verplaudern. 
Natürlich bin ich pünktlich am Suhrhof Pub, denn es gilt nach den vielen Monaten weitere bekannte Konzertgänger*innen zu begrüßen ... auch wenn wir heute nur sehr wenige sind.  Es ist schon ein bisschen verrückt 250 km von zu Haus mit Mensch*innen anzustoßen, die nach meinen Maßstäben quasi ums Eck wohnen.

Ich hatte schon vor einigen Wochen die Gelegenheit Silke & Heiko ein bisschen kennenzulernen, den die beiden betreiben nicht nur denn Pub, sondern auch die angrenzende Klangbar. Ich habe sofort das heimelige Gefühl von Lieblingskneipe, denn hier ist ein leidenschaftliches Gastgeber-Team am Werk.
Die Größe des Publikums ist (leider) sehr überschaubar. Aber Volker vermittelt in seinem Sessel sitzend das Gefühl einer gemütlichen Privat-Party ... so ein Abend im Partykeller, alle sitzen gemütlich beisammen und irgendwann holt jemand eine Gitarre raus und gibt dem Abend einen besonderen Zauber. Denn Volker hat für diese gemütliche Pub-Session mit seinem gelben Sessel und seiner Stehlampe ein Stück heimatliche Wohlfühl-Atmosphäre mitgebracht.
Volker moderiert sich und sein musikalisches Projekt 3 Miles to Essex an, ein paar Neulinge haben nämlich auch den Weg ins Suhrhof Pub gefunden. Es stehen Songs von 3 Miles to Essex auf der imaginären Setlist plus Coversongs, die Volker spontan einfallen. Musikalisch startet der Abend mit #maybetoday und mein Herz schlägt wie irre ... endlich kann ich die 3 Songs zur Nacht live genießen. Ich finde es ja irgendwie niedlich, wie Volker davon erzählt, welche Vorteile es hat, wenn man(n) Gitarre spielen kann, besonders wenn es unter dem Fenster der Angebeteten geschieht. Aber "niedlich" ist nun mal keine Adjektiv, das frau einem erwachsenen Mann zuschreibt und Volker bedient nun wirklich nicht das Klischee vom Gitarristen, der am Lagerfeuer Mädchen rumkriegen will. #underneathyourwindow beschreibt auf bezaubernde Art die Sehnsucht der Verliebten. Doch mit der Liebe ist es erstmal vorbei, #akingorathief holt mich zurück in die harte Realität der täglichen Nachrichten. Vor ein paar Jahren kam der Song noch so dystopisch daher und dann eroberten Fake News die Welt und Kriege nahmen nach und nach immer mehr Platz in den Tagesmeldungen ein. Trotzdem mag ich den Song irgendwie, steht er doch in einer langen Tradition der politischen Songs, die Volker sehr geprägt haben. (U2 & Der Boss lassen grüßen.) Außerdem katapultiert mich dieser Song immer wieder zurück zum Music Walk Rüthen 2017. Doch Volker lässt mich nicht lang in Konzerterinnerungen schwelgen, sondern holt mich mit #myheart in die Realität der 3 Songs zur Nacht zurück. Zwischen denn Songs gibt es Gelegenheit den Menschen hinter der Musik näher kennenzulernen. Er erzählt Anekdoten aus dem Musikerleben und davon, dass es manchmal besser ist sich gegen eine Sache zu entscheiden. (Beim Stichwort Oomph legt meine innere Jukebox den Hebel sofort auf "Augen auf, ich komme" um.)

3 Miles to Essex ... das ist nicht nur Volker Rechin, sondern auch Sebastian Demmin. Volker lässt selten eine Gelegenheit aus von seinem Buddy Sebastian zu erzählen. Aber Sebastian ist nicht irgend so ein Sound-Schrauber, er ist derjenige, der diese Prise Magie zu Volkers Songideen hinzufügt. Für #eyestothelight hat Volker einen kleinen Sebastian in seine Loop-Station eingesperrt und jetzt lässt er ihn frei ... ich möchte einfach nur schmelzen so sehr berührt mich dieser Moment.

Volker präsentiert noch einmal schwere musikalische Kost ... #onenight beschwört Kriegsbilder in meinem Kopf und das Herz wird mir schwer. Bei diesem Song kommt mir immer wieder eine Szene aus der amerikanischen Serie Homeland in den Sinn und die vermischt sich mit Tagesschau-Bildern aus Kriegsgebieten im Nahen Osten. Meine Assoziationen zu diesem Song sind wirklich beklemmend und doch feiere ich Volker für diesen Text, weil er ein so wichtiges Thema in den Mittelpunkt rückt. Auch #mexico behandelt ein wichtiges und erschreckendes Thema: Drogen und die Macht, die sie über Menschen haben. Unvermittelt läuft in meinem Kopf wieder dieser Tarantino-Film ab, der in der mexikanischen Wüste spielt.

Volker ist so sehr in seiner kleinen musikalischen Welt versunken, dass ihm ein U2 Song in den Kopf und die Finger fährt und wir bekommen eine sehr spezielle Volker-Version von #stillhaventfoundwhatImlookingfor zu hören. Im gelben Sessel toben die Emotionen und Erinnerungen und ich werde Volkers Rat, diesen Abend an die emotionale Erinnerungswand zu hängen in jedem Fall befolgen. Mit #onamagnetboard werden wir in die Pause geschickt und ich bin versucht in der Pause auf mein Zimmer zu gehen und in meinen Schlafanzug zu schlüpfen ... ganz so als wäre es ein "normaler" 3 Songs zu Nacht-Abend.

Ich verbringe die Pause mit einem Bonusmenschen, einem 3 Miles-Novizen und einem tollen und hoch emotionalen Gespräch. Diese Gespräche sind Teil der großen Vermissung der letzten 2 Jahre und ich bin sehr glücklich, dass diese wertvollen Momente endlich wieder möglich sind. Keine Chat-Funktion im www kann mit dem echten Leben mithalten. Und wann immer auch nur eine weitere Person im Publikum ist, die so ähnlich tickt wie ich, fühle ich mich irgendwie zu Hause.

Nach der Pause dringt Volker mit uns in den Kern und den Ursprung seiner Musik vor. Er nimmt uns mit an einen besonderen Ort: #3milestoessex, denn dort entstehen musikalische Wunder und Revolutionen. Volker & Sebastian sind mit ihrem Projekt gerade genau dort ... 3 Miles to Essex vor den Türen der großen Plattenindustrie. Ich bewundere Volkers Optimismus und hoffe, dass mir irgendjemand Bescheid gibt, wenn diese Musik eines Tages im linearen Radio läuft. Dem linearen (Musik-)Radio habe ich nämlich schon vor Jahren abgeschworen ... ich bin mehr so der Typ Spartensender und Info-Radio. Aber egal, Hauptsache Volker & Sebastian kommen mit ihren Songs groß raus, einfach weil sie es verdient haben.

Nicht nur ich habe unter der konzertlosen Zeit und dem kollektiven Stubenarrest emotional gelitten, sondern auch die Musikschaffenden. Volker hat all diese Gefühl kurzerhand in den Song #running gepackt. Natürlich fehlt auch #thewayiam nicht auf der (ungeschriebenen) Setlist und führt bei mir zu einem kurzen Atemstillstand. Ich fühle mich emotional sehr verwundbar und Volker schlägt mir mit meinem Lieblingssong #paperaeroplane einen weiteren musikalischen Pflock in mein kleines Herz. Auch heute verliere ich kurz den Kampf gegen die Tränen ... ich liebe und ich hasse diesen Typen dafür, dass seine Musik diese Dinge mit mir anstellen. Mit seiner besonderen Version von Snow Patrols #chasingcars katapultiert Volker mich gedanklich und emotional über 300 km gen Südwesten zu einer der wichtigsten Menschinnen in meinem Leben und mir steht der Sinn danach diesen Moment in Bild und Ton festzuhalten.

Normalerweise läuft das bei Konzerten ja so: wenn die Haupt-Setlist "abgearbeitet" ist, gehen die Künstler*innen von der Bühne ab und das Publikum müht sich durch Applaus und Zugabe-Rufe, die selbigen wieder auf die Bühne zu locken. Es ist ein festes Ritual, eine Tradition ... aber für solche Dinge interessiert Volker sich nicht. Er beschließt nahtlos zu den Zugaben überzugehen ... schade, ich hätte so gerne "Flughafen" gerufen. Wir bekommen einen neuen Song auf die Ohren und in die Herzen gespielt und Volker kündigt an, dass #soareyou uns künftig noch öfter begegnen könnte. Wann, wie, warum und von wem bleibt allerdings noch geheim. Neben Eyes to the light ist #emapthy der einzige 3 Miles Song der aktuell im Streaming-Format zur Verfügung steht. Ich fühle mich einen winzigen Augenblick lang priviliegiert, weil ich schon vor langer Zeit ein Dutzend Songs aus Volkers Feder downloaden konnte. Volker erzählt davon, wie das so ist, wenn die eigene Mutter der größte, aber auch kritischste Fan ist.
Ich lasse mich vom Song mitreißen und eine Gänsehaut überzieht meinen Körper als Volker die Zeile "come around and love me as I am" intoniert. Und weil Volker nicht nur total gut Gänsehaut herbeisingen kann, sondern auch einer der nettesten und fürsorglichsten Menschen ist, die ich kenne, kommt als nächstes ein ganz besonderes Stück. Für seinen guten Freund Ole, der sich schon den ganzen Abend auf unmöglichste Art verrenkt, um ein paar gute Fotos zu schießen, kommt jetzt der Song #heimat vom kleinen W. Es ist einer dieser besonderen, einmaligen Momente, in denen Raum und Zeit ineinanderfließen und die Welt einfach nur noch zauberhaft ist. Volker erzählt, wie das so war mit den W-Brüdern und man hört sofort, dass bei manchen Menschen die Vibes einfach sofort stimmen. Mit U2s #withorwithoutyou läutet Volker das Ende des Abends ein. Doch endgültig verabschiedet werden wir mit einem Song, der Freud und Leid von Fernbeziehungen festhält #goodbyeyeah. Der Song klingt viel schöner als mein bisheriger Fernbeziehungs-Favourite 48 Stunden der Band Kettcar, der hat im Gegensatz zu Volkers Song nämlich gar nichts Positives.

Wir könnten noch stundenlang zu hören, aber Volker hat sich den Feierabend mehr als verdient. Er hat emotional und stimmlich alles gegeben und wir lassen denn Abend gemütlich ausklingen ohne ihn mit weiteren Zugaben-Wünschen zu quälen.

Ich freue mich auf ein weiteres Konzert aus dem gelben Sessel, das morgen Abend in Buxtehude stattfinden wird und hoffe darauf, dass Ole in ein paar Tagen einige seiner liebevollen, lebendigen Fotos von diesem Abend posten wird.