Es gibt Tage, an denen es einfach nötig ist, etwas Verrücktes zu tun, um bei Verstand zu bleiben. Wer mich kennt, der weiß, dass ich nicht so ganz der Norm entspreche. Was also kann jemand wie
ich, die sich selbst als positiv-bekloppt beschreibt, überhaupt tun, um sich verrückt zu fühlen? Was ist meine ganz persönliche Definition von Verrücktsein?
Ich kaufe mir ein Konzertticket ... soweit so normal. Aber dieses Mal ist es ein Ticket für eine Band, die ich eher so mittel finde. Aber das angekündigte Vorprogramm ist einfach sensationell.
Es ist noch keine drei Monate her, da hätte ich Stein und Bein geschworen, dass ich mir niemals freiwillig ein Ticket für Fools Garden kaufen würde, nicht einmal, wenn Volker beim Live-Auftritt
als Bassist aushilft. Alles hat eben Grenzen, auch die Sympathie für leidenschaftliche Musiker.
Und jetzt bin ich auf dem Weg nach Braunschweig, denn im Wolters Applaus Garten spielen eben nicht nur Fools Garden, sondern auch Volker Rechin. Er wird mit dem gelben Sessel und seinen 3
Miles to Essex-Songs heute den Abend eröffnen. Volker & Sebastian haben eine ganz eigenen Sound-Kreation erschaffen, in die ich mich in Sekunde 1 verliebt habe. Aus Sebastians magischer
Soundtüftler-Fähigkeiten und Volkers Geschichtenerzähler-Talent ist etwas Einzigartiges entstanden. Wenn ich die Musik von 3 Miles to Essex beschreiben soll, dann fühle ich mich immer ein wenig
wie eine Sommelière. Ihr kennt das doch bestimmt, wenn über Wein gesprochen wird? Da ist die Rede von einem Hauch Brombeere und Kirsche, einer leicht erdigen Note, vom Ausbau im Barrique und
einem üppigen Körper. Der Sound dieser beiden Typen ist genauso ... ein Hauch von Pink Floyd, eine Prise U2 und starke Geschichten in filigranem und doch epischen musikalischen Gewand.
Aber zurück zum heutigen Abend. Zwischen mir und einem traumschönen Konzertabend liegen 80 km und unzählige Baustellen. Aber das Wetter ist traumhaft und gerade kann sich nichts zwischen mich und
meine Lieblingsmusik drängeln. Auf dem Weg vom Parkplatz zum Wolters Applaus Garten darf ich zum ersten Mal heute Abend tun, was ich am liebsten tue: über tolle Musik und Lieblingsmusiker reden.
Im Applaus Garten angekommen dauert es keine Minute, bis ich bekannte Gesichter und liebgewonnene Musikverrückte erblicke. Wir genießen den Sommerabend und verplaudern die Zeit bis zum
Konzertbeginn.
Auf meinem Ticket steht "freie Sitzplatzwahl am Tisch" und ich lerne für ca. 5 Minuten die anderen Menschen an meinem Tisch kennen, während der Veranstalter den Abend eröffnet. Aber denn
gebuchten Sitzplatz schlage ich, wie so oft, aus und suche mir einen Stehplatz mit guter Sicht auf die Bühne. Der gelbe Sessel steht schon seit Stunden bereit und Volker hat genau 45 Minuten Zeit
das Publikum von den 3 Miles to Essex Songs und seiner Art Musik zu machen zu überzeugen. Natürlich vergisst Volker nicht sich bei den Jungs von Fools Garden zu bedanken, denn sie haben
ihm diesen Support-Auftritt persönlich ermöglicht.
Volker startet mit meinem absoluten Lieblingssong #paperaeroplane in den Abend und über den Applaus Garten legt sich eine beeindruckende Stille. Es ist wirklich selten, dass das Publikum der Vorband so viel Respekt entgegenbringt. Gespannt lauschen die Menschen im Applaus Garten der Musik und Volkers kleinem Ausflug zu den 3 Songs zur Nacht. Zu #akingorathief gibt es heute nur wenig begleitende Worte, aber die Zeit ist halt knapp. #underneathyourwindow hat für mich diese faszinierende Vielschichtigkeit ... für die meisten ist es die klassische "Romeo&Juliet-Story" in einer Meta-Ebene, für einige ist es der Künstler, dessen Kunst kein Publikum findet, für mich ist es all dies und die Geschichte zweier bezaubernder Menschen, die einiges gebraucht haben, um sich zu finden und es ist die Geschichte meiner Großeltern. Ich weiß noch genau wie mein Opa mir erzählt hat, wie er nach dem Krieg bei meiner Oma "gefensterlt" hat und die beiden sich hinter dem Rücken meiner Urgroßeltern ihre Verlobung quasi erschlichen haben. Volker unterlegt den Song mit einem Freestyle in der Tradition der berühmten 4 Akkorde und lässt sehr bekannte Songs einfließen. Das Publikum im Applaus Garten liebt diesen move ... Volker ist ein Self-Marketing-Naturtalent. Es ist seine besondere Art die Geschichte von der Entstehung der Geschichte hinter dem Song zu erzählen, die ihn zu einem unheimlich sympathischen Musiker macht. Juse Ju hat mal gerappt "nicht der Song macht den Hit, sondern der Interpret" ... in Volkers Fall kommt glücklicherweise beides zusammen,
#thewayiam ist heute mein Gänsehaut-Moment und insgeheim warte ich immer noch darauf, dass jemand den James Bond Film schreibt, der diesem Soundtrack würdig ist. Ich spüre, wie die Menschen
hinter mir mich anstarren, weil ich mich komplett in diesem Song verliere, aber es ist mir vollkommen egal. Nichts auf der Welt amüsiert mich so sehr wie die Menschen, die mich in solchen
Situationen anstarren, ohne die Gefühle zu verstehen, die meine Seele aufwirbeln. Und weil wir gerade beim Auf und ab der Gefühle sind, passt #empathy wie die berühmte Faust aufs Auge.
Ich kann gar nicht glauben, dass die 45 Minuten schon fast vorbei sind, aber #eyestothelight soll heute Abend tatsächlich der letzte Song aus dem gelben Sessel sein. Jetzt ist genau der richtige
Moment, um sich direkt an die Bühne zu pirschen und ein Video aufzunehmen. Volker nutzt die Gelegenheit, um sich bei den Beteiligten des Abends zu bedanken und ein bisschen Werbung für seinen
anstehende Auftritt in Einbeck zu machen. Die Situation ist so typisch Volker ... er vergisst wirklich niemanden in seiner Danksagung.
Auf der Bühne ist ganz kurz Pause und dann erobert das Fools Garden-Trio den Applaus Garten, um ihre Braunschweig-Premiere zu feiern. In meiner Welt bedeutet das, who cares about Fools Garden und
ich nutze die Zeit erst einmal für andere Dinge. Natürlich weiß ich, dass ich der Band Unrecht tue ... nur weil sie vor Jahren einen Song geschrieben haben, der mir extrem auf die Nerven geht,
sind sie ja keine schlechte Band. Und in Wahrheit sind sie eine sehr gute Band ... musikalisch vielfältig und publikumsnah.
Fools Garden spielen altbekannte Songs und neuere, elektro-lastige Songs, schließlich steht ein Dutzend Alben für das Bauen der Setlist zur Verfügung. Ich sauge die gute Stimmung des Publikums in
mich auf und genieße die Atmosphäre des Hier und Jetzt bis zu diesem einen Moment. Es ist der Moment, in dem mein persönlicher "please don't do it"-Song gespielt wird ... sorry, aber ich kann dem
#lemontree einfach nichts (mehr) abgewinnen. Doch mehr als der Song erschreckt mich die Reaktion des Publikums ... Fools Garden spielen ihren bekanntesten Song und die Mehrheit des Publikums
sitzt rum. Ich würde jetzt so gerne auf die Bühne rennen und fragen, was mit den Leuten hier nicht stimmt. Musik sollte eure Herze und Beine bewegen, ich hoffe das mit den Herzen klappt
wenigstens.
Am Ende kommt dann doch noch die Stimmung auf, die für mich zu einem Konzert gehört ... das Publikum steht und drängt sich vor die Bühne. So müssen Konzerte sein ... alle lassen ihre Körper
von der Musik bewegen.
Für mich klingt der Abend im Kreise von Freunden aus, nur eine Redewendung, die Volker im persönlichen Gespräch benutzt hat, hallt noch in mir nach und ich weiß nicht, wie ich sie bewerten soll. Wahrscheinlich interpretiere ich mal wieder zu viel und Volker meint ja von Natur aus alles was er sagt positiv und wertschätzend. Mit großer Vorfreude im Herzen trete ich die Heimfahrt an ... am 10.09.22 in Einbeck werde ich nicht nur Volker und seinen gelben Sessel wiedersehen, sondern auch eine langvermisste Freundin, die unglaubliche 500 km überbrücken wird, um einen einmaligen Konzertabend zu erleben.
Kommentar schreiben