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Rock am Beckenrand 2022 - You'll never plansch alone

Es gibt so einige Open Air Veranstaltungen und Festivals - vom Klassik Open Air im Maschpark/Hannover, über unzählige Jazz-Festivals und Liedermaching-Wochenenden, bis zum großen Metal-Event in Wacken ... es gibt unzählige Angebote für Musikfans jedweder Couleur.
Festivals laden dazu ein, aus dem musikalischen Live-Genuss ein persönliches Happening zu machen. Fans reisen kreuz und quer durch die Lande, verbringen das Wochenende in Zelten und Vans oder mieten sich Ferienunterkünfte, Freundschaften werden geschlossen und gepflegt. Tausende Menschen nutzen Festival-Wochenenden, um den Alltag hinter sich zu lassen und das Leben zu feiern. Für mich spiegelt sich dieser Happening-Charakter besonders in der Atmosphäre, die ich beim Besuch eines Festivals verspüre.

 

Ich fühle mich jedes Jahr aufs Neue sehr privilegiert, denn zwischen meinem eigenen Bett und meinem absoluten Lieblingsfestival liegen gerade mal 23 km ... zugegeben, das nächste Festival in greifbarer Nähe ist auch nur 36 km entfernt. Aber die Nähe zur eigenen Schlafstätte ist mit nichten der entscheidende Faktor, der "Rock am Beckenrand" in Wolfshagen im Harz zu meinem Liebling unter den norddeutschen Festivals macht. Für mich passt bei RaB einfach alles: 

  • Musikauswahl und Bands - RaB bietet alles, was das Herz begehrt. Auch ohne ständig in musikalischen Schubladen zu denken, kann man sagen, dass Punk-, Indie- und Rockeinflüsse die auftretenden Bands maßgeblich geprägt haben. Die Bands sind überwiegend in Deutschland beheimatet, aber auch internationale Acts gibt es zu sehen. Deutschsprachige Texte geben den Ton an und das Mitsing-Potential ist enorm hoch. Viele Nachwuchsbands bekommen ihre Chance sich auf einer der Bühnen einem breiten Publikum zu präsentieren. Und auch Regionalität spielt eine wichtige Rolle, ob Göttingen, Braunschweig oder Wernigerode ... ich konnte in den letzten Jahren einige Neuentdeckungen machen. Aber auch die Acts auf der Mainstage werden eher selten im Mainstream-Radio gespielt. Diese Bands finden eher in den Spartensender des öffentlich-rechtlichen Radios statt.

    Seit ein paar Jahren gibt es für mich beim RaB zwei feste musikalische Größen: die Awesome Scampis und Liedfett. Die Scampis (aka Atomic Shrimps) gehören zum RaB wie der Pool. Die Band hat das RaB zu ihrem Lieblingsfestival erklärt, bringt immer einen Bus voller Fans mit und rockt neben der Bühne auch den Campingground. Auch die Hamburger Jungs von Liedfett haben das RaB-Festival in ihr Herz geschlossen und kommen immer wieder gerne in den Harz.
  • Die Bühnen - das Programm wechselt zwischen Pool- und Mainstage und auf dem kurzen Weg zwischen diesen beiden Bühnen kann man auf der Wohnzimmerbühne so einiges entdecken. Das Beste am RaB-Festival: niemand muss sich zwischen den Bühnen entscheiden ... für mich ein großer Pluspunkt dieses süßen, kleinen Festival. Natürlich ist die Mainstage der Dreh und Angelpunkt des Festivalprogramms, dort treten die bekannteren, internationalen und kommerziell erfolgreicheren Acts auf. Die Wohnzimmerbühne bietet jedes Jahr ein abwechslungsreiches Programm mit Allround-Talenten. Aber der heimliche Star des RaB ist wohl die Poolstage ... in front of Nichtschwimmer-Becken performen die Bands und die einzelnen Auftritte enden nicht selten mit dem Ruf "in den Pool". Manche Bands springen direkt von der Bühne in den Pool, andere gehen erst nach einer kurzen Pause planschen.
  • Das leibliche Wohl - natürlich gibt es die üblichen Getränke-Versorgungs-Stationen und ja, es gibt eine Pommes Bude. Aber die Beckenrand-Crew bietet den geneigten Festival-Besucher*innen viel mehr: neben den üblichen Getränken gibt es Cocktails und es werden süße und deftige Speisen für Fleisch-Esser*innen und Vegetarier*innen angeboten. Es gibt sogar Krapfen (Schmalzgebäck) in Form von Rockhänden. Ein weiteres kulinarisches Highlight ist wohl das "Frühstück ans Zelt" auf dem Campingground. Die Kooperation mit dem örtlichen Supermarkt tut ihr übriges für das Wohlbefinden der Festival-Besucher*innen.
  • Rund um das Festival werden noch viele weitere Goodies und Programmpunkte geboten: neben Shuttle-Bus und Festivalmarkt, wird sehr viel Zeitvertreib für die Festival-Besucher*innen geboten. Egal ob Bierpong-Turnier, Bier-Yoga oder Unterwasser-Fotoshooting, bei RaB kommt keine Langeweile auf. Auch wenn ich kaum etwas vom Rahmenprogramm in Anspruch nehmen kann, ich liebe die Beckenrand-Crew für diese Liebe zum Detail.
  • Apropos Crew ... Rock am Beckenrand wird vom Enthusiasmus und der Toleranz sehr vieler Menschen getragen. Es braucht die Toleranz des Freibad-Vereins und der Anwohner*innen, um so ein tolles Event-Wochenende auf die Beine zu stellen. Und es braucht eine engagierte Crew, um Spaß und Erfolg zusammen zu bringen. Das RaB-Festival wird von Ehrenamtlichen getragen! Egal, ob Mitglieder und Helfer*innen des RaB e.V., DLRG, Feuerwehr oder DRK, ohne Ehrenamtliche wäre dieses Festival nicht möglich und ich liebe diese Menschen für ihr Engagement.

Der Verein "Rock am Beckenrand e.V." ist eines meiner Herzensprojekte. Leider fehlt mir die Zeit, um aktiv mitzuhelfen, umso mehr schätze ich die Menschen, die ihre spärliche Freizeit opfern, um dieses tolle Event auf die Beine zu stellen. Natürlich tragen auch viele andere Menschen zum Gelingen des Festivals bei und vom Bühnentechniker bis zur fast funktionslose Security mögen sich an dieser Stelle alle geherzt fühlen.

 

Zauberhaft finde ich auch die wechselnden Motti des Festivals. 2022 lautet das Motto "you'll never plansch alone" ... ein Leitmotiv, dass alle Beckenrocker*innen und Nichtschwimmer*innen zwei Jahre durch Pandemie und Lockdown gebracht hat. Als 2020 klar wurde, dass das Festival wegen des bösen C nicht stattfinden kann, habe ich mein Ticket gespendet und mir für 2021 ein neues Ticket gekauft. Für mich war es eine Herzensangelegenheit dieses Festival und den Verein zu supporten.

 

2022 - zwei Jahre ohne RaB haben mir sehr zugesetzt, aber jetzt ist mein Lieblingsfestival in der Nachbarschaft endlich wieder am Start ... ich könnte durchdrehen vor Freude. Hier ein Blick auf meine (musikalischen) Highlights dieses Wochenendes:

 

Leider muss ich das warm-up am Donnerstag Abend mit Reis Against The Spülmachine sausen lassen, denn die Arbeit fordert mich aktuell über alle Maßen. Aber Freitag wird mein Tag! Jedenfalls dachte ich das gestern noch. Doch ich komme zu spät zum Auftritt von Elfmorgen und kann nur noch die zweite Hälfte des Auftritts genießen. Aber zwei meiner Lieblingssongs kann ich an der Poolstage noch mitnehmen, den #oberlippenbart und den #kapitän. Letzterer ist so dicht am Pool wohl obligatorisch.
Eine handvoll Songs und bestes Sommerwetter lassen mich die Welt vergessen und ich versinke im Paralleluniversum "Festival". Ich schlendere durchs Wölfi Bad und halte Ausschau nach Freunden und Bekannten. Glücklicherweise kann frau "ihre Menschen" auf dem begrenzten Areal sehr schnell finden. Gemeinsam suchen wir uns ein Schattenplätzchen, stoßen auf das Leben an und verplaudern die Zeit bis zum Auftritt der nächsten Band.

Auf meiner Liste stehen als nächstes The TCHIK (The Tote Crack Huren im Kofferraum). Kürzlich waren sie noch in der 3Sat-Sendung Till Reiners Happy Hour zu Gast und jetzt sind sie hier bei diesem kleinen, süßen Freibad-Festival ... die Welt ist einfach verrückt. Ich freue mich schon seit Lulus Besuch in der Radiosendung Feindsender Fiasko auf einen Live-Auftritt dieser Frauen-Power-Formation. Und was soll ich sagen? Lulu und die Girls zerlegen mal eben am helllichten Tag die Mainstage. Diese Band ist weiblich und unkonventionell ... einfach Punk. Und der hat den Mädels ja bekanntlich ihre Herzen gebrochen. Ein Großteil der Setlist ist von 2021er Album #gefühle bestimmt und es macht einfach nur Spaß dieser Performance beizuwohnen.
Die nächste Band auf meiner "muss ich unbedingt sehen"-Liste ist Deine Cousine. Ina und Band habe ich schon ein paar Mal live erlebt und war immer wieder begeistert ... diese Energie ist einfach magisch und frau hat sofort das Gefühl, Teil eines großen Familientreffens zu sein. Der Auftritt der Band ist eine einzige #attacke und wir bekommen einen kleinen Einblick in das kommende Album Ich bleib nicht hier. Es fühlt sich ein bisschen irre an, hier eine Band performen zu sehen, die eben noch beim Wacken Open Air aufgetreten ist.

Um Viertel vor Sieben entern die Atomic Shrimps die Poolstage, um sich nach wenigen Minute in die Awesome Scampis zu verwandeln. Hier zeigt sich wieder einmal, dass nicht jeder gut gemeinte Eltern-Impuls der musikalischen Frühförderung in einem klassischen Orchester endet ... das Zauberwort heißt hier wohl Ska-Punk. Die Stimmung am Beckenrand kocht und die Scampis starten einen Weltrekordversuch ... der größte Circle Pit in einem Pool. Ich finde das irgendwie lustig ... wie viele andere Konzertlocations verfügen wohl über einen Pool?

Nach dem aufregenden Auftritt der Scampis relaxen wir ein bisschen und warten auf den Auftritt von Fiddlers Green auf der Mainstage, da öffnet der Himmel urplötzlich seine Schleusen. Alle Besucher*innen nehmen den Wetterumschwung mit Humor und versuchen sich bestmöglich vor dem Regen zu schützen.
Gewitter und Freibad passen bekanntlich nicht so gut zusammen und die Regenmenge ist ganz ordentlich, also entscheiden Orga-Team und Feuerwehr, dass die Evakuierung von Freibad und Camping-Ground die sicherste Lösung ist. Die meisten der angereisten Festivalbesucher*innen verkriechen sich in ihren Autos oder nutzen das angebotene Evakuierungszentrum im Ort. Ich bin klatschnass und entscheide mich in Ermangelung von Wechselklamotten für die Heimfahrt.
Zwei Stunden später lese ich bei FB, dass die Beckenrand-Crew sich nicht unterkriegen lässt, und dass das Festival mit Swiss und die Anderen und Russkaja fortgesetzt wird. Für mich ist der Abend allerdings vorbei, denn ich darf bestimmt nicht mehr Auto fahren. Ich hoffe, dass Fiddlers Green ihren Auftritt in einem anderen Jahr nachholen werden.

 

Der Samstag wartet mit bestem Festivalwetter auf - es ist regenfrei und nicht mehr so heiß, denn mit 16° herrschen normale Harzer Sommertemperaturen. Zugegeben, das Badewetter ist nicht ganz so ideal, aber viele Festivalbesucher*innen sind unerschrocken und nutzen die Vorzüge des Freibades. Ich bin natürlich zu spät für die erste Band am Pool, aber immerhin halbwegs pünktlich zum Auftritt der Band Rogers an der Mainstage. Im Kreise von alten und neuen Bekannten lasse ich mich treiben. Wir wandern zwischen Pool- und Mainstage und genießen das abwechslungsreiche Programm. 
Die Band Engst wurde mir immer mal wieder bei einem bekannten Streamingdienst in die Playlist gespült, aber bisher konnte ich diesem Sound nichts abgewinnen. Doch der Live-Auftritt der Band ist wirklich überzeugend und es macht Spaß den eingefleischten Fans beim Feiern und Pogen zuzusehen.
Ab 19 h geht es in meiner "unbedingt angucken"-Liste Schlag auf Schlag. Die Reise beginnt am Pool mit Das Pack. Pensen und seine Live-Komplizen haben mit Die Kernseife der Medaille ein musikalisch abwechslungsreiches neues Album im Gepäck, dessen Songs sie bunt mit den liebgewonnenen Songs mischen. Zwischen #vanillebär und #weilsgeils vergesse ich die Welt. Mein Körper hat Tanzalarm und ich freue mich fast schon auf den morgigen Muskelkater, irgendwie vergesse ich in solchen Momenten immer, dass ich so unsportlich bin. Ich bin einfach nur glücklich und meine Freude über den Augenblick wird nur noch durch das Wiedersehen mit anderen Musikverrückten gesteigert.
Auf dem Festivalgelände begegnet man immer mal wieder Musiker*innen der angereisten Bands. Hier ist alles total entspannt und niemand flippt aus, wenn die musikalischen Freudebringer*innen plötzlich neben einem stehen. Nur John Winston Berta sieht heute ein bisschen lost aus wie er so zwischen Pool und Merch-Meile umherirrt.


Der weitere Abend findet auf der Mainstage statt und dort geben sich meine Lieblingsbands die Klinke bzw. die Mikros in die Hand. Den Auftakt des Abendprogramms macht die Alex Mofa Gang, eine Band, die mir vor einigen Jahren von einem (Ex-)Kollegen ans Herz gelegt wurde. Ab jetzt lautet das Motto des Tages wohl endgültig "Purer Punk am Beckenrand". Die Band mischt die Liegewiese ordentlich auf und der Pit ist kaum noch zu Bremsen. Die Luft ist angefüllt mit Punk, Liebe und Spaß und wir trotzen gemeinschaftlich der bösen Realität. Ich finde es ja immer ein bisschen drüber bei solchen Gelegenheiten Anti-Nazi-Parolen über dem Publikum abzuwerfen, denn an Orten wie diesen treffen solche Aussagen auf offenen Ohren und Herzen. Aber es gibt halt Dinge, die man nicht oft genug sagen kann. Mofa Gang Sänger Sascha löst gegen Ende des Sets noch ein Versprechen ein und springt während eines Songs mal eben vom Sprungturm. Es gibt Momente, die könne so eben nur am Beckenrand passieren.

Nach einer kurzen Umbaupause entern die Dinosaurier des regionalen Deutsch-Punk die Bühne. Ladies & Gents, Rock am Beckenrand proudly presents Die Schröders. Seit über 30 Jahren spielt sich die Bad Gandersheimer Kombo mit ihrer leicht pubertären Punkrock-Musik in die Herzen des Publikums. Also bei mir funktioniert es, denn ich bin binnen weniger Takte wieder ein 15jähriger Teenager ... ein großartiges Gefühl. Das Besondere an diesem Auftritt ist wohl, dass es die Band seit 13 Jahren gar nicht mehr gibt und die spärlichen Auftritte etwas sehr Besonderes sind. In meiner Wahrnehmung ist der Zugabenteil fast genau so lang wie der Hauptpart und ich finde das wundervoll. Die Schröders sind eben alte Show-Hasen und liefern eine derbe Reise in vergangene und doch zeitlose Lebensphasen ab. Gerade könnte ich die ganze Welt umarmen.

Abschluss und Höhepunkt dieses Festivaltages ist die Hamburger Band Liedfett. Ab jetzt ist alles egal, denn diese Jungs werden gleich den Phoenix aus der Flasche lassen und uns mit #3g in Goldene Zeiten führen. Der Soundcheck dauert so lange, dass ich mich kurz frage, ob das noch Punk ist. Aber ab Song 1 legen die 4 Jungs dermaßen los, dass alle Zweifel vergessen sind. Natürlich ist die Setlist maßgeblich vom aktuellen Album Durchbruch bestimmt, aber auch die Klassiker kommen nicht zu kurz. Ich komme aus dem irren Gefühl wieder ein Teenager zu sein einfach nicht mehr raus. Loslassen, mitsingen, tanzen ... das Leben könnte nicht schöner sein. Hoffentlich kommt die Band noch ganz oft an den Beckenrand ... das Festival wäre ohne sie nicht mehr dasselbe.
Mittlerweile habe ich mir die Füße blutig getanzt und mein Seelen-Akku ist zu 200% aufgeladen. Beseelt und mit einem fetten Grinsen im Gesicht sage ich dem besten Festival für dieses Jahr Lebewohl und trete ich den Heimweg an.

 

Rock am Beckenrand 2022 hat meine Seele aufgeladen und ich werde lange von diesem Wochenende zerren. 2 Tage mit tollen Menschen in interessanten Band-Shirts. Ich habe Freunde (wieder)getroffen und neue Leute kennengelernt. Die Organisation war super und die Stimmung durchweg friedlich. Ein Weltrekordversuch im Nichtschwimmerbecken, eine Punk-Polonaise durchs Freibad, ein spektakulärer Sprung ins Becken, im Publikum badende Musiker*innen und Wetter-Kapriolen ... so ein Wochenende vergisst frau nicht.
Nur eine Frage bleibt noch offen ... ob das Orga-Team wohl eines Tages die Hannoveraner Band Terry Hoax buchen wird, damit ich sehen kann, wie Olli Perau ins Becken springt?

 

Ihr wollt mehr über das Festival und den Rock am Beckenrand e.V. wissen oder Beckenrocker*in werden? Dann schaut euch doch einfach auf der Vereins-Website um.

 

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