Ich konnte es kaum glauben als Norman vor einer Woche in Braunschweig verkündet hat, dass es für das heutige MitSing-Konzert noch Restkarten gibt. Doch im Laufe der Woche konnte man in den
Sozialen Medien dem Restkarten-Countdown zusehen und so wird der große Aufnahmesaal im Studio Nord Bremen heute Abend ausverkauft sein. Fanstatisch!!!
Nach dem Frühstück mache ich mich auf den Weg zum Bahnhof. Ich habe beschlossen meinen Konzertreisen künftig einen kleineren CO2-Abdruck zu verpassen ... außerdem sollen Bahnreise ja auch
entschleunigen. Und heute läuft bei der Bahn alles richtig: alle Züge fahren pünktlich, das Umsteigen ist stressfrei und für die Qualität der Mitreisenden ist die Bahn schließlich nicht
verantwortlich. Ich fahre bis Verden und steige dann bei Freunden im PKW zu ... drei Menschen pro Auto sind umwelttechnisch ja auch günstiger als zwei. Im Auto wird natürlich viel geschwatzt,
schließlich haben wir uns seit einer Woche nicht mehr gesehen. In Bremen angekommen beziehen wir unsere Pensionszimmer und eine weitere Freundin gesellt sich zu uns. Wir haben die Pension für uns
allein und beschallen erstmal das ganze Haus mit Keiler-Musik aus der Konserve ... so ganz haben wir die Teenager-Phase wohl noch nicht verlassen. Wir essen bei einem tollen Italiener und
quatschen bis uns die Worte ausgehen. Nach einem kleinen Umtrunk in der Pension und großer Vermissung für daheimgebliebene Herzensmenschen machen wir uns auf zum Studio Nord. Eine handvoll
Menschen wartet bereits am Einlass und ab jetzt nimmt das "Hallo" sagen kein Ende mehr. Kalter Wind fegt uns um die Ohren, doch wir ignorieren das Wetter bestmöglich und freuen uns, dass es nicht
regnet. Pünktlich um 19 h öffnen sich die Türen des Studio Nord Bremen und die restliche Wartezeit können wir windgeschützt absolvieren.
Als sich die Türen öffnen, geht alles ganz schnell, die Reihen füllen sich und ich fühle mich einfach großartig. Viele der Besucher*innen kenne ich von vergangenen Konzerten und so gehen "Hallo"
sagen und Wiedersehensfreude munter weiter. In diesem ganzen Trubel stehle ich mir einen Moment, um die Atmosphäre aufzusaugen. Ich habe schon viele verrückte Dinge getan, die immer irgendwie mit
Konzerten zu tun hatten. Ich habe irrsinnige Strecken zurückgelegt und die abgefahrensten Locations kennengelernt. Viele kuschelige Clubs und ausgewöhnliche Konzepte haben sich in meiner
Erinnerung festgesetzt. Ich stand auf Gästelisten, mir wurden Instrumente anvertraut und ich habe halbe Nächte mit Veranstalter*innen und Künstler*innen an der Bar verquatscht. Ich habe
Zeitungsartikel geschrieben und Radio-Promotion gemacht, aber in einem richtigen Tonstudio war ich noch nie! Und an diesem wundersamen Ort in einem Bremer Wohngebiet sind schon sehr viele
fantastische Dinge passiert, gute Alben aufgenommen worden, tolle Videos wurden hier im Lockdown präsentiert und auch einige Live-Alben wurden hier recordet.
Noch während ich mich der Magie des Ortes hingebe, betritt Norman "die Bühne" (also den akustik-freundlichen Teppich) und sagt kurz ein paar Worte darüber, wie dieser Abend verlaufen wird. Srowe
(aka der Jedi-Meister der Tontechnik) wird den Abend akustisch aufnehmen und Ole (aka Herzensmensch der Konzert-Fotografie) hat einen Haufen Kameras aufgestellt. Ich finde die vielen Mikros und
unzähligen Kameras etwas erschreckend, aber es ist ja alles für eine gute Sache.
Endlich hat Norman eine Gitarre in der Hand und es ertönen die ersten Akkorde von #kleinfeindaheim. Ich lasse mich in die Musik fallen, vergesse all die Mikros und Kameras binnen Sekunden und
vermisse "meine Leute", die ich auf dieser langen musikalischen Reise in mein Herz geschlossen habe. Heute fehlt die Passage "denn heute ist kein Schwein daheim", aber der Abend ist viel zu
wichtig, um alberne Scherzchen zu machen. Der nächste Song ist #astronaut und ich verfluche für einen kurzen Moment, dass es hier keinen Platz zum Tanzen gibt. Doch der Drang dahin zu schmelzen
obsiegt. #absolutokay bringt Bewegung ins Publikum, denn der Song hat nicht nur Mitsing-, sondern auch Mitklatsch-Potential. Und hier ist Profi-Publikum am Werk ... Mitklatschen an den richtigen
Stellen und im richtigen Rhythmus (und im vom Künstler gewünschten Takt) gelingt beinahe reibungslos.
Die Stimmung ist großartig und zwischen den Songs herrscht ehrfürchtige Stille. Ja, wir haben verstanden, dass Bühnenkünstler*innen keine Stille mögen, aber niemand möchte den Zauber des
Augenblicks zerstören, geschweige denn die Aufnahme ruinieren. Norman greift zur E-Gitarre, platziert sich auf einem Hocker und fängt an zu erzählen, als wäre das hier ein ganz normaler
Keiler-Abend. Es geht um Westpakete, grüne Bananen, einen Walkman und zwei sehr inspirierende Kassetten. Der Tag als #elvis in sein Leben kam und wie der King heute den Keiler-Nachwuchs
beeinflusst. Der nächste Song ist ein "altes Schätzchen", dass wir natürlich sofort erkennen, und führt zu Hut-Frisur-Problemen. #egalwaswirsagen schmückt sich mit dem Einsatz einer
Mundharmonika. Aber wenn sich ein hutragender Gitarrenspieler eine Mundharmonika umhängt, führt das unweigerlich zu Frisur-Problemen. Ich glaube, der Begriff "Luxusproblem" muss hier und heute
neu definiert werden. Ich muss kurz an ein Konzert im Osnabrücker Rosenhof mit einem Xylophon denken und sehr grinsen.
Für #dieliste legen sich alle ordentlich ins Zeug ... hier entstehen gerade sehr bewegte Bilder voller Emotionen und ich lächle in mich hinein. Wir kompensieren den Bewegungsmangel mit
euphorischen Armbewegungen und langsam löst sich das Gefühle des beobachtet Werdens durch die vielen Kameras. #siewilllos verpasst mir (wieder einmal) einen Flashback zu einem wundervollen
Keiler-Konzert in der artfarm ... dieser Song wird für mich auf ewig mit diesem Abend verbunden sein und berührt mich irgendwo ganz tief drinnen an der Gänsehaut auf meinem Herzen. Die Gänsehaut
kann man wohl auch tätowieren ... natürlich mit Melodien oder einem #zitronenfalter. Der #rasthoftramper nimmt uns mit und wir können und wollen einfach nicht mehr sitzen. Musik schafft einfach
Bewegungsdrang ... für mich ein untrügliches Zeichen, dass Musik einfach alle Sinne berühren kann. Natürlich nehmen wir zu #königin alle wieder Platz, alle sind so diszipliniert und niemand will
die Filmaufnahmen ruinieren. Mein kleines Herz schmerzt, denn bei diesem Song vermisse sehr wichtige Lieblingsmenschen unsagbar.
Norman sagt eine kleine Pause an ... "wir machen dann weiter, wenn alle soweit sind". Dieser Satz ist wohl sinnbildlich für die mega entspannte Atmosphäre. Ich nutze die Gelegenheit, um mit
vielen lieben Menschen zu plaudern und wünsche mir schon jetzt, dass dieser Abend nicht endet. Das hier und jetzt ist einfach zu perfekt, um loszulassen.
Und auch musikalisch geht es #perfekt weiter. Norman ist in Plauderlaune und nimmt uns mit in die jüngste Vergangenheit. In all diesen Worten über den Lockdown steckt neben Schmerz auch sehr viel
Liebe, denn in dieser Zeit hat Norman gemeinsam mit Volker Rechin einige tolle Songs geschrieben. Auch im Applaus des Publikums steckt sehr viel Liebe für "unseren" Lieblings-Wolfsburger ... in
meinem Kopf entsteht ein Bild: während wir hier applaudieren, bekommt irgendwo in Deutschland ein tolle Mensch und großartiger Musiker ganz kurz eine Gänsehaut und ein warmes Gefühl im Bauch.
Einer der neuen Keiler-Songs mit rechinschem Einfluss ist die kommende Single #meineperson ... einer meiner aktuellen Lieblinge bei jedem Keiler-Konzert. Auch die Entstehungsgeschichte eines
anderen Songs ist sehr interessant, ob der Song wohl den Titel #ichkommheim bekommen wird?
Wir machen eine kleine Reise an den Lago di Garda und feiern vorab den kommenden Sommer mit #ahchebello ... dieser Song hat eine sehr interessante Entstehungsgeschichte. Es zeigt sich wieder
einmal, dass Kunstschaffende auch etwas erleben müssen, um tollen Output kreieren zu können. Seit Jahrhunderten schreiben Menschen Gedichte und Lieder über das Wiedererwachen der Welt im Frühling
und genau in diese Reihe gehört für mich #kolossal ... das Erwachen der Welt aus dem Dornröschen-Schlaf der Lockdowns der einem nicht enden wollenden Winter gleich kam. In den Hochphasen der
Pandemie habe ich mich oft an diesem kleinen Lied festgehalten und gehofft, dass wir irgendwann gemeinsam die Clubs wiederbeleben werden. Über Monate habe ich gehofft, dass dieser Song eines
Tages jeden Keiler-Abend eröffnen wird. Doch die Größe das Arrangements hat eine Live-Präsentation des Songs mit Gitarrenbegleitung unwahrscheinlich erscheinen lassen. Doch zu meiner Freude hat
Norman die Herausforderung grandios gelöst ... seit kurzen ist ein E-Piano im Gepäck. Mit Hilfe dieses Instrumentes präsentiert Norman diesen tollen Song und wer genau hinhört, kann in der
ausgiebigen Instrumental-Passage die Kings of Leon wiederfinden. Mein musikverliebtes Herz ruft ein leises "Bravissimo". Der liebgewonnene unplugged Publikums-Walk zu #weilichbin
entfällt heute wegen Platzmangel, also geht Norman einfach kurz vom Mikro weg und dirigiert mittels Körpersprache seinen Publikumschor. Einfach toll, diese kleine eingeschworene Fangemeinde in
Aktion zu erleben. #rosaelefanten entführen uns auf einen fremden Planet, der doch eigentlich der unsere sein sollte, eine wunderschöne Utopie, die ihresgleichen sucht. Daheim im Arbeitszimmer
sitzen drei handmade Rosa Elefanten aus dem Hause "Häkeltiere spenden Kraft" und bewachen die Memorabilien meiner Konzertreisen. Immer wenn ich irgendwo einen kleinen Rosa Plüsch-Elefanten sehe,
geht in meinem Kopf die Jukebox an und ich denke mit einem Lächeln an meine Leute. Musik ist so wunderbar verbindend und Norman schreibt genau die Songs, die Menschen zusammenbringt.
Zusammengebracht hat uns auch der Mauerfall '89 und mit #springenindienacht hat Norman die ostdeutsche Sicht der Wendezeit festgehalten. Der Saal füllt sich mit dutzenden Lichtern kleiner
Taschen- und Handy-Lampen. Ich hoffe so sehr, dass Volkers Vision zu diesem Song eines Tages wahr wird: Norman, der auf großer Bühne am Brandenburger Tor anlässlich der Feierlichkeiten des 03.
Oktobers diesen Song performt. Das wird ein großer Tag werden!
Norman lächelt verschmitzt als er behauptet, dass das jetzt der letzte Song gewesen sein soll. Der Typ platzt doch gleich vor Spielfreude und wir hungern nach Zugaben und so gehen wir gemeinsam
auf #klassenfahrt nach #marburganderlahn. Das Licht im Saal geht an und einige Menschen brechen aus unterschiedlichsten Gründen zügig auf. Doch viele Menschen bleiben, finden sich in kleinen
Grüppchen, lachen und quatschen, Selfies werden gemacht und Autogramme gesammelt. Emotional völlig überladen taumle ich durch die Realität, mein Verstand ist im Schwebezustand und auch das
liebevolle Mobbing prahlt an mir ab. Es geht mir fabelhaft, aber irgendwie fühle ich mich auch ein bisschen #zusammenalleine.
Doch irgendwann kommt der Moment des Abschied Nehmens, doch wir sagen nicht einfach nur "Tschüss", bei uns heißt es immer "wir sehen uns spätestens beim Konzert von xy in irgendwo". Wir
machen uns zu viert auf den Weg in unsere Pension und lassen den Abend bei einem Gläschen, guten Gesprächen und Lieblingsmusik ausklingen.
Mein Kopf läuft auf Hochtouren und meine Gedanken kreisen um Auszüge aus Thees Uhlmanns Buch "Wir könnten Freunde werden - Die Tocotronic-Tourtagebücher". Es geht um große Fragen und
zentrale Gedanken, die Künstler*innen und Publikum umzutreiben scheinen.
"... Warum mache ich Musik; für wen; ist das gut genug, was wir machen; bin ich gut genug für die anderen; was denkt das Publikum; was soll ich über das Publikum denken; was sollen wir machen für
die Sender; warum kann ich nicht einfach nur Musik machen; warum haben alle feste Jobs; und warum lebe ich in so einer Blase, die keiner in meinem Alter ernst nimmt? ..."
Und Thees
Retrospektive auf die von ihm begleitete Tour der Tocos spiegelt meine Realität als vielreisende Musikverrückte wider "... Mein Gott, was wir alles erlebt haben: Sachen, die kein Mensch
außer uns verstehen kann, eigene Codes, eigene Rituale, tausende Orte ... Wieviele Menschen gehen pro Tag auf ein Konzert? Bei wievielen Konzerten sagen die Leute. "Was für ein scheiß Konzert"?
Bei wievielen Konzerten sagen Menschen: "Ich durfte dabei sein"? Blendet man die Geldsache aus, bleibt es einfach eine schöne Angelegenheit, ein Ort der Freude, der Emotion.
..."
Für mich kehrt die Realität erst beim Frühstück am Sonntag Morgen zurück, doch schon im Zug hänge ich wieder den Erinnerungen an den gestrigen Abend nach.
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